Klage: 140gegen das Jobcenter Märkischer KreisThema: Leistungseinstellung wegen "fehlender Mitwirkung"
SGB I § 66 Widerspruch W 70/22
Sozialgericht Dortmund, S 85 AS 102/22 ER, 31.01.2022
Richter Bouchequif
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Kurze Inhaltsübersicht: |
1. Kurze Einleitung |
2. Gesetzliche Grundlage |
3. Chronologie |
Kurze Einleitung
Eine seit Jahren allein lebende Frau nahm ihren erwachsenen Sohn in ihre Wohnung auf, weil dieser in einer tiefen Lebenskrise seinen Halt verloren hatte und Unterstützung braucht. Der junge Mann stellte am 12.11.2021 einen formlosen Antrag auf ALG II-Leistungen. Das Jobcenter Märkischer Kreis handelte schnell . . . und halbierte unverzüglich zum 01.12.2021 die Mietzahlungen an die Mutter. Gleichzeitig zahlte sie dem jungen Antragsteller weder die "zweite Hälfte der Miete" noch seine Regelleistung. Das Jobcenter Märkischer Kreis handelte schnell . . . zwar zahlte man nicht die existenzsichernden Leistungen, aber halbierte stattdessen zum 01.12.2021 die Mietzahlungen an die Mutter. Damit konnten weder Miete noch Heizkosten pünktlich gezahlt werden. Die Notlage wurde vergrößert. Gleichzeitig verweigerte das Jobcenter dem jungen Antragsteller die "zweite Hälfte der Miete" und auch seine Regelleistung unter dem Vorwand fehlender Nachweise. Alle Bemühungen den Auflagen der Jobcentermitarbeiter zu genügen und den von der Bundesagentur verfügten vereinfachten Zugang zu Leistungen einzufordern schlugen fehl. Am 16.01.2022 wurde ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Dortmund gestellt Az. S 85 AS 1021/22 ER Und siehe da, nur drei Tage später meldete die Widerspruchstelle dem Sozialgericht Dortmund zurück: "die vorläufige Zahlungseinstellung wurde zurückgenommen, weil eine Prüfung ergab, dass die bisher eingereichten Unterlagen als ausreichend anzusehen sind. Die Zahlung von Leistungen wird somit fortgeführt. Dies betrifft alle Leistungen, die mit Bescheid vom 30.09.2021 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.11.2021 bewilligt wurden." Die Leistungseinstellung unter dem Vorwand "fehlender Mitwirkung" ersetzt in der Alltagspraxis die verheerenden Auswirkungen der Sanktionspraxis. Obwohl der Gesetzgeber sowohl im SGB II als auch im SGB XII zur Sicherstellung der Grundversorgung die Möglichkeit der "vorläufigen Bewilligung" eingeräumt hat, häufen sich die Fälle von Leistungsverweigerung bei der Grundversorgung, Mieten und Energiekosten mit der Konsequenz z.T. wochenlanger Unterversorgung und akuter Bedrohung von Mietverhältnissen und Energiesperren. Damit handelt das Jobcenter Märkischer Kreis offen gegen höherwertiges Recht (Menschenrechtsverletzungen) unter Berufung auf "minderwertiges Recht". (SGB I § 66) "In einer E-Mail der Bundesagentur für Arbeit vom 17. März 2020 zur Sicherstellung der rechtzeitigen und durchgehenden Leistungserbringung in den gE ist zu lesen: „Die Gewährleistung existenzsichernder Leistungen in Zeiten der weitgehenden Einstellung des Kundenverkehrs in den gemeinsamen Einrichtungen (gE) hat höchste Priorität. Die vorhandenen Möglichkeiten sind so zu nutzen, dass existenzsichernde Leistungen rechtzeitig und durchgehend erbracht werden. Hierzu ergehen die nachfolgenden Regelungen . . . .“" Links Die angezeigten Links dienen zunächst nur der Erarbeitung der Klage. Auf eine aufwendige Anonymisierung der Dokumente wurde hier verzichtet. Die Kernaussagen sind im Text eingebunden. |
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SGB I § 66 Folgen fehlender Mitwirkung |
SGB I § 16 Antragstellung |
(1) 1Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65
nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung
bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.
2Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. (2) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung wegen Pflegebedürftigkeit, wegen Arbeitsunfähigkeit, wegen Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 62 bis 65 nicht nach und ist unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß deshalb die Fähigkeit zur selbständigen Lebensführung, die Arbeits-, Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt oder nicht verbessert wird, kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. (3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. |
(1) 1Anträge auf Sozialleistungen sind beim zuständigen Leistungsträger zu stellen.
2Sie werden auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegengenommen. (2) 1Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, sind unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. 2Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der in Satz 1 genannten Stellen eingegangen ist. (3) Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden. |
§ 67 SGB I Nachholung der Mitwirkung |
§ 65 SGB I Grenzen der Mitwirkung |
Wird die Mitwirkung nachgeholt und liegen die Leistungsvoraussetzungen vor, kann der Leistungsträger Sozialleistungen, die er nach § 66 versagt oder entzogen hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen. |
(1) Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit
1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder 2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder 3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. (2) Behandlungen und Untersuchungen, 1. bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, 2. die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder 3. die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten, können abgelehnt werden. (3) Angaben, die dem Antragsteller, dem Leistungsberechtigten oder ihnen nahestehende Personen (§ 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung) die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, können verweigert werden. |
§ 67 Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie;
Verordnungsermächtigung |
Europäische Sozialcharta Artikel 13 – Das Recht auf Fürsorge Stand: 31.07.2021
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(1) Leistungen für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit
vom 1. März 2020 bis zum 31. März 2022 beginnen, werden nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 erbracht. (2) 1Abweichend von den §§ 9, 12 und 19 Absatz 3 wird Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. 2Satz 1 gilt nicht, wenn das Vermögen erheblich ist; es wird vermutet, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt. (3) 1§ 22 Absatz 1 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. 2Nach Ablauf des Zeitraums nach Satz 1 ist § 22 Absatz 1 Satz 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht auf die in § 22 Absatz 1 Satz 3 genannte Frist anzurechnen ist. 3Satz 1 gilt nicht in den Fällen, in denen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden. (4) 1Sofern über die Leistungen nach § 41a Absatz 1 Satz 1 vorläufig zu entscheiden ist, ist über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abweichend von § 41 Absatz 3 Satz 1 und 2 für sechs Monate zu entscheiden. 2In den Fällen des Satzes 1 entscheiden die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für Bewilligungszeiträume, die bis zum 31. März 2021 begonnen haben, abweichend von § 41a Absatz 3 nur auf Antrag abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch. (5) Die Bundesregierung wird ermächtigt, den in Absatz 1 genannten Zeitraum durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates längstens bis zum 31. Dezember 2022 zu verlängern.. |
Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Fürsorge zu gewährleisten,
verpflichten sich die
Vertragsparteien:
1 sicherzustellen, daß jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen, insbesondere durch Leistungen aus einem System der Sozialen Sicherheit, verschaffen kann, ausreichende Unterstützung und im Fall der Erkrankung die Betreuung, die seine Lage erfordert, gewährt werden; 2 sicherzustellen, daß Personen, die diese Fürsorge in Anspruch nehmen, nicht in ihren politischen oder sozialen Rechten beeinträchtigt werden; 3 dafür zu sorgen, daß jedermann durch zweckentsprechende öffentliche oder private Einrichtungen die zur Verhütung, Behebung oder Milderung einer persönlichen oder familiären Notlage erforderliche Beratung und persönliche Hilfe erhalten kann; 4 die unter den Nummern 1, 2 und 3 genannten Bestimmungen auf die rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatsangehörigen der anderen Vertragsparteien anzuwenden, und zwar auf der Grundlage der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Verpflichtungen aus dem am 11. Dezember 1953 zu Paris unterzeichneten Europäischen Fürsorgeabkommen. |
![]() Chronologie 30.09.2021 Bescheid . 21.11.2021 Änderungsbescheid . 02.12.2021 Antwortschreiben. 03.01.2022 vorläufige Zahlungseinstellung ab Januar 2022 W 70/22
16.01.2022 Widerspruch wegen vorläufiger Zahlungseinstellung ab Januar 2022 W 70/22
16.01.2022 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (7 S.) S 85 AS 1021/22 ER
18.01.2022 Eingangsbestätigung vom Jobcenter W 70/22
18.01.2022 Eingangsbestätigung vom Sozialgericht S 85 AS 102/22 ER
19.01.2022 Fortzahlung der Leistungen W 70/22
20.01.2022 Widerspruchsbescheid W 70/22
20.01.2022 Widerspruchsbescheid S 85 AS 102/22 ER, eR 1-35502-00005/22
28.01.2022 Antwort an Sozialgericht
31.01.2022 Widerspruchsbescheid W 155/22
31.01.2022 Kostenantrag stellen
10.02.2022 Erinnerung
18.02.2022 Kostenantrag gestellt
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