Klage: 141

gegen das Jobcenter Märkischer Kreis


Thema: Leistungseinstellung wegen "fehlender Mitwirkung"

SGB I §§ 60, 66, 67




Widerspruch W 69/22
Sozialgericht Dortmund, S 85 AS 103/22 ER, 2022
Erstattung in Höhe von 1660,32 €
Richter Bouchequif


Widerspruch W 133/22
Sozialgericht Dortmund, S 85 AS 546/22, 30.10.2023
Erstattung 11 Tagessätze ??,32 €
Richter Felten-Sprenger



"Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2022

in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2022 verurteilt,

dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes,

nach dem SGB II für den Zeitraum 01.11.2021 bis zum 11.11.2021

dem Grunde nach zu gewähren."

S 85 AS 546/22
       

Kurze Inhaltsübersicht:


1.    Kurze Einleitung
2.    Gesetzliche Grundlage
3.    Chronologie
4.    Urteile zum Thema
5.    Infos zum Thema
6.    Presseberichte zum Thema
7.    Foreneinträge zum Thema




        Kurze Einleitung

Leistungseinstellung wegen "fehlender Mitwirkung"



Links

Die angezeigten Links dienen zunächst nur der Erarbeitung der Klage.

Auf eine aufwendige Anonymisierung der Dokumente wurde hier verzichtet.

Die Kernaussagen sind im Text eingebunden.






         Chronologie



12.11.2021     Formloser Antrag auf SGB II-Leistungen
"hiermit stelle ich einen formlosen Antrag auf SGB II-Leistungen. Derzeit bin ich obdachlos und beziehe keinerlei Leistungen."


18.11.2021     Aufforderung zur Mitwirkung
"Sie haben Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beantragt.

Es ist zu überprüfen, ob und inwieweit für Sie ein Anspruch auf Leistungen besteht beziehungsweise bestanden hat.

Folgende Unterlagen beziehungsweise Angaben werden hierzu noch benötigt:

-WBA, EK, VM (anbei) ausgefüllt
-Nachweise+schriftliche Äußerung, wovon Sie bisher gelebt haben
-Kontoauszüge 12.09.21-12.11.21

Bitte reichen Sie diese bis 05.12.2021 ein."


01.12.2021     Kurze Antwort an das Jobcenter
"Aufforderung zur Mitwirkung
In der Vergangenheit war ich über mehrere Monate obdachlos und ohne jedes Einkommen."


27.12.2021     Aufforderung zur Mitwirkung
"Sie haben Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beantragt.
Für Ihren Weiterbewilligungsantrag ist zu klären, wer Ihre Mitbewohnerin ist. Aus den von Ihnen bereits eingereichten Unterlagen geht dies nicht eindeutig hervor.
Es ist zu überprüfen, ob und inwieweit für Sie ein Anspruch auf Leistungen besteht beziehungsweise bestanden hat.
Folgende Unterlagen beziehungsweise Angaben werden hierzu noch benötigt:
- vollständig ausgefüllte Anlage HG. Daraus soll insbesondere hervorgehen, ob und inwiefern Sie mit Frau X Y verwandt sind oder nicht.
Bitte reichen Sie diese bis 13.01.2022 ein."


27.12.2021     Versagung von Leistungen
"Sie wurden am 18. November 2021 aufgefordert, fehlende Unterlagen einzureichen. Trotz dieser Aufforderung haben Sie folgende Unterlagen bisher nicht eingereicht:
- Kopien Ihrer Kontoauszüge für das Datum des 12.09.21-12.11.21. Sollten Sie während dieser Zeit kein Konto gehabt oder geführt haben, reichen Sie bitte Nachweise oder eine schriftliche Stellungnahme ein. Die Leistungen werden Ihnen ganz versagt, da Sie Ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sind (§§ 60 Absatz 1 und 66 Absatz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I)."



"Einen Antrag auf Erteilung eines Antragformulars" von Reinhard Mey


18.01.2022     Eingangsbestätigung vom Sozialgericht     S 85 AS 103/22 ER
"der Antrag vom 16.01.2022 ist hier am 17.01.2022 eingegangen.

Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen S 85 AS 103/22 ER geführt."


18.01.2022     Eingangsbestätigung der Widerspruchstelle     W 69/22
"Ihr Widerspruch vom 16. Januar 2022 ist am 16. Januar 2022 im Jobcenter Märkischer Kreis eingegangen. Er wird unter dem angegebenen Zeichen bearbeitet. Ich werde Ihr Anliegen so schnell wie möglich prüfen. Dies kann einige Zeit dauern. Sie erhalten unaufgefordert weitere Nachricht."


19.01.2022     Bewilligungsbescheid    
"auf Ihren Antrag vom 12.11.2021 bewillige ich Ihnen für die Zeit vom 12.11.2021 bis 31.10.2022 folgende Leistungen:

Die Leistungen werden monatlich im Voraus gezahlt.

Begründung:

Die Kosten der Unterkunft werden zwischen Ihnen und Ihrer Mutter aufgeteilt. Bitte beachten Sie, dass Ihre Leistungen erst ab dem 12. November 2021 bewilligt werden konnten. Für den Zeitraum ab dem Monat Dezember können zusätzlich auch die Kosten Ihrer Unterkunft bewilligt werden, da ab diesem Zeitpunkt der Einzug bei Ihrer Mutter belegt ist."


19.01.2022     Abhilfebescheid im Widerspruchsverfahren     W 69/22
"Den Bescheid vom 27.12.2021 hebe ich auf. Ihrem Widerspruch konnte demnach in vollem Umfang entsprochen werden.

Die weiteren Einzelheiten entnehmen Sie bitte dem Ihnen beigefügten Bescheid.

Die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten werde ich auf Antrag erstatten, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen werden."


19.01.2022     Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts    
"auf Ihren Antrag vom 12.11.2021 bewillige ich Ihnen für die Zeit vom 12.11.2021 bis 31.10.2022 folgende Leistungen:

Die Leistungen werden monatlich im Voraus gezahlt.

Begründung:

Die Kosten der Unterkunft werden zwischen Ihnen und . . . aufgeteilt. Bitte beachten Sie, dass Ihre Leistungen erst ab dem 12. November 2021 bewilligt werden konnten. Für den Zeitraum ab dem Monat Dezember können zusätzlich auch die Kosten Ihrer Unterkunft bewilligt werden, da ab diesem Zeitpunkt der Einzug bei . . . belegt ist"


24.01.2022     Zahlungseingang der Erstattung in Höhe von 1660,32 €

27.01.2022     Widerspruch     W 69/22
"denden.

Die."


28.01.2022     Abhilfebescheid im Widerspruchsverfahren     W 69/22
"den Bescheid vom 27.12.2021 hebe ich auf. Ihrem Widerspruch konnte demnach in vollem Umfang entsprochen werden.

Die weiteren Einzelheiten entnehmen Sie bitte dem Ihnen beigefügten Bescheid."


28.01.2022     Antwort
"Eine Rücknahme des Antrags kann so nicht erfolgen.

Die Antragsgegnerin teilt mit,

„Die Leistungen wurden heute ab dem 12.11.2021 bewilligt und mit Zahlungsanordnung vom 19.01.2022 (Ausführung 20.01.2022) zur Auszahlung gebracht. Der Antragsteller müsste in den nächsten Tagen über das Geld verfügen können.“

Eine Teilzahlung ist tatsächlich erfolgt. Aber bereits die Begrenzung der erstantraglichen Leistungsgewährung ab dem 12.11.2021 dürfte erneut unzureichend und fehlerhaft sein."


31.01.2022     Widerspruchsbescheid     W 69/22
"den Beden.

Die weid."


03.02.2022     2022_02_03_Stellungnahme_erbeten.pdf
"Auch das Gericht weist darauf hin, dass mit dem hiesigen Eilverfahren nur Leistungen ab Antragstellung (hier: Januar 2022) begehrt werden können. Diese wurden bewilligt. Wird das Verfahren für erledigt erklärt?

Die scheid."


26.02.2022     Klage gegen Widerspruchsbescheid vom 31.01.2022
"Begründung:

Der Kläger stellte am 12.11.2021 einen formlosen Antrag auf SGB II-Leistungen.

Der Beklagte verweigerte die Auszahlung der Existenzsicherung über mehrere Monate und kam dem gesetzlichen Anspruch widerstrebend und nur teilweise nach nachdem ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 85 AS 103/22 ER) anhängig gemacht war.

Der Beklagte verweigert die Rückdatierung auf den Ersten des Monats (01.11.2021).

Diese Klage wurde auf richterlichen Hinweis gestellt, weil eine vollumfängliche Abhilfe im Rahmen des ER-Verfahrens vom Beklagten abgelehnt wurde.

In einer E-Mail der Bundesagentur für Arbeit vom 17. März 2020 zur Sicherstellung der rechtzeitigen und durchgehenden Leistungserbringung in den gE ist zu lesen:

„Die Gewährleistung existenzsichernder Leistungen in Zeiten der weitgehenden Einstellung des Kundenverkehrs in den gemeinsamen Einrichtungen (gE) hat höchste Priorität. Die vorhandenen Möglichkeiten sind so zu nutzen, dass existenzsichernde Leistungen rechtzeitig und durchgehend erbracht werden. Hierzu ergehen die nachfolgenden Regelungen . . . .“

Die Sicherung des Existenzminimums hat höchste Priorität. Der Antragsgegner genügt diesem Anspruch nicht."


19.09.2022     Stellungnahme vom JC    
"Soweit die Verfahrensbevollmächtigte Sch vorträgt:

„Hierzu nimmt der Beklagte wie folgt Stellung.
Der Kläger gibt selbst an, dass er erst ab dem 12.11.2021 wieder postalisch erreichbar war. Da es sich um die Anschrift der Mutter handelte, wurde auf die Vorlage einer Erreichbarkeitsbescheinigung der Wohnungslosenhilfe der Diakonie ausnahmsweise verzichtet.“

so ist dies eine höchst eigenwillige Interpretation mit der offensichtlichen Zielsetzung von Leistungsverweigerung. Der Originaltext vom 12.11.2021 lautet: „Sehr geehrter Herr H

hiermit stelle ich einen formlosen Antrag auf SGB II-Leistungen Derzeit bin ich obdachlos und beziehe keinerlei Leistungen.“

Die Beklagte wird um Stellungnahme gebeten:

  • Liegt hier ein Neuantrag oder ein Weiterbewilligungsantrag vor?
  • Auf welche Rechtsgrundlage stützt sich die Beklagte mit der Forderung einer Erreichbarkeitsbescheinigung vor der Antragstellung?
  • Entgegen dem eigenen Vortrag werden hier sehr wohl eigene neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte vorgestellt, wenn der Anspruchstermin eigensinnig verzerrt wird?
  • Welche Bedeutung eine „Erreichbarkeitsbescheinigung der Wohnungslosenhilfe der Diakonie“ für einen Erstantrag hat soll, ist nicht glaubwürdig dargelegt.


„Die Leistungen des Arbeitslosengeldes 2 werden immer rückwirkend für den ganzen Monat erbracht, sofern die Hilfsbedürftigkeit zu diesem Zeitpunkt bereits bestand. Daher haben Sie auch dann vollen Anspruch ab dem 1. des Monats, wenn Sie den Antrag am 31. abgeben.“ Der Kläger begibt sich bis auf weiteres in stationäre Behandlung, erklärt sich aber mit einer gerichtlichen Entscheidung ohne Verhandlung einverstanden, da die Angelegenheit keine nennenswerte rechtliche Schwierigkeit erkennen läßt."


29.09.2022     Stellungnahme der Beklagten     S 85 AS 546/22
"hat der Beklagte den Schriftsatz des Klägers vom 19. September 2022 zur Kenntnis genommen.

Hierzu nimmt der Beklagte wie folgt Stellung.

Gemäß § 7 Abs. 1 SGB II ist ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland eine Vorrausetzung für den Anspruch auf Leistungen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass am angemeldeten Wohnsitz auch der gewöhnliche Aufenthalt begründet wird. Die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes stellt sich demgemäß in der Regel nur für Personen, die nicht schon über die Bestimmung des Wohnsitzes erfasst sind, also typischerweise Wohnungslose. Da der Kläger nicht über eine Wohnanschrift verfügte, galt er als erwerbsfähiger Wohnungsloser.

Auch diese erwerbsfähigen Wohnungslosen müssen für den Träger erreichbar sein, damit ggfs. eine Eingliederung erfolgen kann. Es bestehen keine Bedenken, die Erreichbarkeit zu bejahen, wenn eine tägliche Vorsprache bei einer Betreuungs-oder Beratungsstelle tür Wohnungslose oder einer ähnlichen Stelle (z. B. eine Betreuungsstelle tür Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten) erfolgt. Insoweit können die für den Rechtskreis SGB III getroffenen Regelungen zu § 138 SGB III (FW 138.5.1.3) entsprechend angewandt werden. Hiernach ist eine Wohnungslose oder ein Wohnungsloser jedenfalls erreichbar, wenn sie oder er an jedem Werktag über eine Betreuungs- oder Beratungsstelle ihre oder seine Post persönlich zur Kenntnis nehmen kann. Die Dokumentation der Erreichbarkeit kann durch einen Aktenvermerk mit Unterschrift der leistungsberechtigten Person erfolgen. Solange keine rechtlich inhaltliche Abweichung vorliegt, sind Vordrucke die von den entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, zu akzeptieren. Eingeschränkte Öffnungszeiten der Betreuungs- oder Beratungsstellen stehen dabei der Erreichbarkeit der wohnungslosen Menschen nicht entgegen."


05.10.2022     Antwort auf die Stellungnahme des Beklagten vom 05.10.2022    
"denden.

Die."


08.11.2022     Stellungsnahme    
"wird auf die Stellungnahme des Beklagten vom 05.10.2022 Bezug genommen.

Die Beklagtenvertreterin hat es sorgfältig vermieden die einzelnen Fragen des Klagers konkret zu beantworten.

Aus diesem Grund wird der Antrag um Stellungnahme zu den konkreten Fragen wiederholt.

  • Liegt hier ein Neuantrag oder ein Weiterbewilligungsantrag vor? - ja oder nein?

  • Auf welche Rechtsgrundlage stutzt sich die Beklagte mit der Forderung einer Erreichbarkeitsbescheinigung vor der Antragstellung? - wird nicht immer nur mit der Antragstellung die Erreichbarkeit hergestellt?

  • Entgegen dem eigenen Vortrag werden hier sehr wohl eigene neue rechtserhebliche Gesichtspunkte vorgestellt, wenn der Anspruchstermin eigensinnig verzerrt wird? - ein Ruckgriff auf wiederkehrende Textbausteine ist unzureichend

  • Welche Bedeutung eine .Erreichbarkeitsbescheinigung der Wohnungslosenhilfe der Diakonie¡§ fur einen Erstantrag hat soll, ist nicht glaubwurdig dargelegt. - Wo werden Erstanträge üblicherweise gestellt? Beim Jobcenter oder bei der Diakonie?

  • Worin besteht ein Erreichbarkeitserfordernis des Jobcenters fur Personen die (noch) keinen Antrag auf Leistungen gestellt haben?


Solche Vortrage sind dem gesunden Menschenverstand wohl kaum zugangig. Der Vortrag der Beklagtenvertreterin wirkt auf den Klager wie ein krankhafter Versuch der Leistungsverweigerung ohne Rechtsgrundlage."


28.11.2022     Abhilfebescheid im Widerspruchsverfahren     W 69/22
"hat der Beklagte Schriftsatz des Klägers vom 08, November 2022 zur Kenntnis genommen

Nach Auffassung des Beklagten ergeben sich keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die bisherigen Ausführungen Bezug genommen.


21.12.2022     Abhin    
"denden.

Die."


30.10.2023     Urteil S 85 AS 546/22     W 133/22
"Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2022 verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, nach dem SGB II für den Zeitraum 01.11.2021 bis zum 11.11.2021 dem Grunde nach zu gewähren.

Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 01.11.2021 bis zum 11.11.2021. ; Der Kläger bezog zunächst SGB II-~eistungen von dem Beklagten bis Juni 2021. Der : Kläger war jedenfalls ab Mai 2021 obdachlos und über die Diakon'je postalisch erreichbar. E,in Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab Juli 2021 wurde nicht gestellt. Die Diakonie teilte in einem, Schreiben vom 10.08.2021 mit, dass der Kläger dort nicht mehr vorspreche. Eine Erreichbarkeit über die Diakonie sei nicht gegeben. "